Archiv: VideoStage

05.09. - 18.09.2020

Julia Bünnagel

Question Authority

Julia Bünnagel
Question Authority
Video Loop, 2:06 Minuten, s/w, Ton
2020

„THE MASSAGE IS VERY SIMPLE: THINK FOR YOURSELF AND QUESTION AUTHORITY" schreibt Julia Bünnagel in blinkender Leuchtschrift in den Raum. Dabei handelt es sich um ein Zitat des umstrittenen amerikanischen Psychologen, Autors und Publizisten Timothy Leary, einer Leitfigur der Gegenkultur und Hippiebewegung in den 1960er Jahren. Julia Bünnagel löst Leary's programmatische Botschaft aus dem ursprünglichen Kontext und stellt sie ins Zentrum einer gegenwärtigen medienkünstlerischen Inszenierung. Mit dem gewählten Titel Question Authority übernimmt die Künstlerin zugleich Leary's appellativen Anspruch, autoritäre Muster grundsätzlich zu hinterfragen.

Unweigerlich zieht Bünnagels Videoarbeit die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich. Stroboskopartig blitzen die Wörter aus der Dunkelheit auf, setzen sich für kurze Augenblicke in Bild und damit im Bewusstsein des Betrachters fest, um im nächsten Moment bereits wieder zu entschwinden und neuen Lichtzeichen zu weichen. In steter Bewegung begriffen scheinen Schriftzeichen im Raum zu schweben, kommen auf den Betrachter zu oder zeihen sich wieder in die Tiefe des Raumes zurück. Die Botschaft wird zum visuellen Ereignis, die mediale Präsentation zum Teil der Botschaft.

Unter diesen Bedingungen verlangt auch die Entzifferung des Schriftzuges nach einer gesteigerten Aufmerksamkeit. Immer nur bruchstückhaft, in einzelnen, kurz aufleuchtenden Wörtern, erscheint die Sentenz vor dem Auge des Betrachters. So sehr die blitzende Schrift buchstäblich ins Auge sticht, so sehr entzieht sie sich sogleich immer wieder der Sichtbarkeit. Erinnerung und Vergegenwärtigung des soeben Gesehenen spielen eine wesentliche Rolle im Prozess der Wahrnehmung. Es bedarf der gesamten 2miütigen Videosequenz, um sich den Satz in Gänze zu erschließen. Zugleich wird man der Botschaft niemals endgültig habhaft. Immer ist das soeben noch Sichtbare buchstäblich im Augenblick bereits wieder entschwunden.

Als einen Ausgangspunkt für die Entstehung von „Question Authority" nennt die Künstlerin ihre Beschäftigung mit der sogenannten Dreammachine, einem stroboskopartigen Lichtobjekt, das gegen Ende der 1950er Jahre von Brion Gysin und Ian Summerville gemeinsam mit William S. Bourroghs entwickelt wurde. Dabei sollte mittels pulsierender Lichtimpulse eine optische Stimulierung des Gehirns erzielt werden und künstliche Empfindungen hervorgerufen werden. Bryson und Summerville stützten sich bei der Konzeption der Dreammachine unter anderem auf Überlegungen aus der Veröffentlichung „The Living Brain" von William Grey. In der Folge wird das Prinzip der stimulierenden Lichtprojektionen vielfach aufgegriffen, unter anderem im experimentellen Film oder in künstlerischen Performances, etwa bei Andy Warhol.

An diese Tradition knüpft auch Julia Bünnagel an. In Question Authority wird der Stroboskopeffekt zum prägenden Gestaltungsmittel. Das permanente Blinken der Leuchtschrift bewirkt gleichermaßen eine Steigerung der optischen Aufmerksamkeit wie andererseits eine Irritation der visuellen Wahrnehmung. Perspektivische Verzerrungen und eine stetige Bewegung lassen zudem die Schrift haltlos im Raum zu schweben. Dabei verliert sich immer wieder die Schärfe, als wäre der Blick träge und müsse permanent nachjustiert werden. Hinzu kommt auf der akustischen Ebene ein durchgehendes rauschendes Klicken, ein akustisches Störsignal, das dem Rhythmus der Lichtblitze folgt und deren Wirkung intensiviert. All dies verleiht der Arbeit von Julia Bünnagel eine eigentümliche, mitunter psychedelisch anmutende Atmosphäre.

Julia Bünnagels Videoarbeit unterläuft mit den beschriebenen künstlerischen Mitteln evident statische Modelle der Wahrnehmung und festgefahrene Sichtweisen. Die schriftlich gefasste Botschaft THINK FOR YOURSELF AND QUESTION AUTHORITY findet hierin nicht nur ihren adäquaten bildlichen Ausdruck, mehr noch führt uns Julia Bünnagel vor Augen, dass die Welt immer erst in unserer Wahrnehmung zu dem wird, was sie (für uns) ist.

Reinhard Buskies

Gefördert durch die Stadt Bochum

 
 
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