24. November 2023 bis 24. März 2024
Mit Werken von
Thomas Lüer, Franziska Windisch, Philipp Valenta und Dieter Kiessling
Seit dem Coronawinter 2020/21 bespielt der Kunstverein Bochum die Fensterfront am Haus der Kortum-Gesellschaft gegenüber des Kunstmuseums in der dunklen Jahreszeit mit Videokunst. Von Ende November bis in den März hinein sind dort täglich ab Einbruch der Dunkelheit ausgewählte Videoarbeiten in Großprojektion zu sehen. Den Auftakt machte Christine Schulz, die in ihrem spektakulären Video HAI einen weißen Hai in Lebensgröße auf die Fensterfläche projizierte. Das diesjährige Programm steht unter dem Titel „Vom Tasten und Sichten".
Tasten und Sichten sind zweckdienliche Strategien der Orientierung und Fortbewegung in unbekanntem und unübersichtlichem Terrain. Es sind zugleich Metaphern für unser grundsätzliches Agieren Raum und Zeit, für unseren Zugriff auf die Welt, in der wir leben. Diese erweist sich gerade in Zeiten einer globalisierten und digitalisierten Moderne als komplexes und unüberschaubares Feld, in dem eine Orientierung immer schwerer fällt. Permanent sind wir vor Entscheidungen gestellt und mit Unwägbarkeiten, mit Unbekanntem und Ungewissem konfrontiert. Ein ständiges Suchen und Sichten, ein Tasten und Herantasten, ein immerwährendes Prüfen, Verwerfen und Neuausrichten erscheinen als konstante Parameter unseres menschlichen Daseins.
24.11. - 28.12.23
Thomas Lüer
Revier
2002, Farbe, ohne Ton, 11'35'' Loop
Ein Wachhund mit einer Nachtsichtkamera patrouilliert durch das entkernte ehemalige Museum der bildenden Künste Leipzig während der Umbauphase zum Bundesverwaltungsgericht. Die Räume sind völlig entleert, weder die ehemalige Nutzung als Museum noch die zukünftige als Gerichtsgebäude sind ablesbar. Der Kontrollgang ist dem Hund andressiert und wird ohne Abweichung endlos wiederholt. Auf der ständigen Suche nach ungewöhnlichen Vorkommnissen arbeitet sich der Hund von einem Raum in den nächsten vor. Jeder neue Blick in einen weiteren Raum verbindet sich mit spannender Erwartung, mündet jedoch letztlich wieder in antrainierte Routine.
29.12.23. - 25.1.24
Franziska Windisch
Walk with a wire
2018, Farbe, Ton, 9'12'' Loop
In einer einzigen, gut neunminutigen Einstellung zeigt das Video das abgerollte Magnetband einer Tonbandkassette, wie es langsam durch die Hand der Künstlerin gleitet. Die ruhige, gleichmäßige Bewegung und die behutsam tastenden Finger erzeugen den Eindruck, dass das Band ausgelesen, oder mehr noch, buchstäblich abgetastet wird. Zu hören sind von dem unbespielten Band lediglich Nebengeräusche wie Rauschen, Summen, Brummen und Knistern, die hier eine ganz eigene Klangwelt entfalten. In zusätzlichen Texteinblendungen entwickelt Windisch eine assoziative Gedankenkette um Begriffe von Form, Verlauf, Ort und Zeit.
26.1. - 22.2.2024
Philipp Valenta
Shift
2022, Farbe Ton, 12'03'', Loop
Phillipp Valentas Video Shift entstand während der Überfahrt zu einem Arbeitsaufenthalt nach Island. Zu sehen ist der Blick aus einem schwankenden Schiff auf die endlose Weite des Meers. Nichts bietet dem Auge Halt. Selbst die klare Distinktion der Bereiche von Himmel und Meer scheint nivelliert durch das fahle Grau-in-Grau der wolkenverhangenen Szenerie. Unter dem Titel Shift greift der Künstler „das in unserer jetzigen Zeit gegenwärtige Gefühl auf, den sicheren Halt oder einen festen Boden unter den Füßen zu verlieren – Unsicherheit, Unklarheit, Unwohlsein sind die Folgen. Shift, im englischen ein Wort vielfältiger Bedeutungszusammenhänge, bezeichnet vor allem Situationen der Änderung und des Wandels zwischen Zuständen" (Philipp Valenta).
23.2. - 24.3.2024
Dieter Kiessling
Mädchen
2002, s/w, ohne Ton, 6'30'' Loop
Das projizierte Videobild zeigt eine langsame Kamerafahrt über das Foto einer Mädchenschulklasse aus dem Jahr 1904. Für einen Moment verharrt der Blick jeweils auf einer Person, um dann zur nächsten weiterzuziehen. In der porträthaften Nahaufnahme zeigt sich der für das Alter ungewöhnlich ernste und entschlossene Gesichtsausdruck der Mädchen, die das kommende dunkle Schicksal ihrer Generation noch nicht ahnen konnten. Deutlich sichtbar sind auch die zahlreichen Kratzer und Beschädigungen der historischen Fotografie, Spuren der Zeit, die sich in die Materialität des Fotos eingeschrieben hat.
Haus der Kortum-Gesellschaft Bochum, Bergstr. 68a
(Eingang Stadtpark, gegenüber Kunstmuseum)